Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
Alles außer irdisch
[... und ganz ernst zu nehmen] Die Menschheit ist relativ arrogant, was so die Angelegenheiten des Universums betrifft. Zwar kennen wir nur einen Bruchteil davon, aber das hindert uns nicht daran, uns eine feste Meinung darüber zu bilden: für 'Leben' braucht man Wasser, Sauerstoff, Licht und sonst noch einiges auf der Einkaufsliste für ein gstandenes Wesen. Während die armen Götter, Dämonen und Engelscharen, so sie existieren sollten, schon lange von Atheisten verleugnet werden, geht es jetzt also auch den Extraterrestrischen an den Kragen. Vermutlich werden sich einige davon bei Vorträgen über das Thema: 'Warum es kein außerirdisches Leben geben kann' in dem Vortragsaal aufhalten - allerdings mindestens in der 11. Dimension - und sich halbtot lachen. Wenn man sie irgendwie wahrnehmen und deren Laute noch dazu übersetzen könnte, würde man über folgenden Dialog staunen: „Schau, dort - der Astronaut, der dir mit diesem primitiven Dreirad 2022 am Mars über deine achte Extremität fahren wird“ „Tatsächlich!“ (Es senkt vertraulich die Lautstärke) „Deswegen kann ich schon Wochen nicht mehr richtig konglomerieren ...! Mir fallen übrigens in dem dicken Buch dort zweiundzwanzig schwere Grammatik- und etwa doppelt so viele Beistrichfehler auf, von den unkorrekten Abbildungen ganz zu schweigen. Wenn die Menschheit immer so schlampig arbeitet, werden sie uns nie finden.“ Doch, lieber Außerirdischer, wird sind schon auf dem besten Weg dazu. Unsere Naturwissenschaftler können bereits bis zum Urknall zurück die ganze Entwicklung des Universums nachvollziehen. Na gut, das ist in Anbetracht von riesigen Teleskopen und einer enormen Rechenleistung der Supercomputer nicht mehr ganz so beeindruckend, wenn man sich überlegt, was ihre astronomischen Vorfahren mit drittklassigen Fernrohren so alles herausgefunden haben. Aber was diverse Theorien betrifft, da ist man schon ein ganzes Stück weitergekommen. Denn früher, also sehr viel früher, war man der festen Überzeugung, dass der Aufbau ungefähr folgendermaßen aussehen würde: die Welt ruht auf einer Schildkröte, die steht auf einer anderen, diese wieder auf einer, bis ganz nach unten. Selbst wenn man kein Naturwissenschaftler ist, erlaubt man sich diese Vorstellung milde zu belächeln, denn: worauf steht dann die unterste? Im dritten Jahrtausend ist man da schon viel weiter. Da gibt es Dimensionen noch und nöcher, komplizierteste Berechnungen und Theorien; in mindestens jedem zweiten Satz ergänzt ein 'könnte' das eigentliche Verb. Der interessierte Laie kann sich mit Hilfe populärwissenschaftlicher Literatur über diese allerneuesten Erkenntnisse informieren. Auch wenn man meistens nicht viel mehr versteht, als das 'Dankeschön, dass sie sich entschlossen haben, dieses Buch zu kaufen', ist selbiges meist sehr lesenswert. Denn die Begeisterung für diese Disziplin, der Respekt vor anderen Forschungsgebieten, und manchmal auch der Humor sind allgemeingültig. Ein bisschen schwierig wird die Angelegenheit, wenn man eine Theorie verstehen soll, die jene von den gestapelten Schildkröten endgültig abgelöst zu haben scheint. Das Universum und die Raumzeit und was sonst noch irgendwie dazu gehört, ist nach neuesten Erkenntnissen so eine Art amorphes Gebilde, 'Bran' genannt. Es ist irgendwie dreigeteilt („bei Unklarheiten fragen Sie ihren Astrophysiker oder Astronomen“) und sieht etwa so aus wie eine simple Wurstsemmel. Allerdings sehr gut gefüllt, so dass Kommissar Rex eine rechte Freude daran hätte. So viel Tätigkeit seitens der grauen Zellen, so viel Zeit und noch mehr Forschungsbudget, und doch hat man als interessierter Allbewohner das unwiderstehliche Bedürfnis - außerordentlich verlegen - nur eine einzige Frage zu stellen: „Und was ist nun drumherum?“ Man hofft ja fast, dass sich die Vertreter dieser Fachrichtungen wieder ein bisschen irren. Das ist jetzt nicht zynisch gemeint, schließlich konnte man wirklich davon ausgehen, dass wir als einzige Lebewesen weit und breit - was noch immer zu stimmen scheint - von der Sonne nebst anderem Gestirn umkreist werden. Und was sonstige Forschungsergebnisse betrifft ... „Das Licht ist ein Teilchen! Nein, eine Welle! Was soll's - lassen wir es doch beides sein, stört ja niemanden,“ Solche kleinen Hoppalas liefern andere Wissenschaftszweige fast jede Woche: „Das Nahrungsmittel Y ist Teufelszeug! Nein, ein Wundermittel Naja, eine Portion hin und wieder wird schon nicht schaden ... “ Aber mit der Quantenphysik fingen für die Menschheit die wahren Schwierigkeiten erst richtig an. Ein Teilchen verhält sich anders, wenn man es beobachtet? – Jeden bekennenden Esoteriker würde man wegen so einer Bemerkung gnadenlos verspotten! Der arme Newton hat in diesem Bereich auch kein Leiberl mehr und am CERN werden schwarze Löcher mittlerweile angeblich fast serienmäßig erzeugt ... In Angesicht solcher Entwicklungen erlahmt schön langsam die Widerstandskraft gegen die Theorie, dass wir schon lange von Außerirdischen unterwandert wären. Allerdings mit einer Einschränkung: warum sollten sie uns mühsam entführen und sezieren und dergleichen aufwendige Maßnahmen mehr, wenn sie es doch viel einfacher haben könnten? In einem Handbuch für den 'erfolgreichen extraterrestrischen Eroberer' würde man wohl folgendes Kapitel finden: Strategie statt Gewalt. Darin wird ausführlich dargelegt, dass man es zumindest einmal auf die nette Art versuchen sollte, à la '.. mit Speck fängt man Mäuse.' Nur hätte man es im vorliegenden Fall mit Einzellern zu tun oder auch mit infektiösen Teilchen. Beide Kategorien vereint die Effizienz, die Menschen schnell außer Gefecht zu setzen; es handelt sich dabei um Bakterien und Viren, die alles andere, aber keinen Verdacht erregen würden. Das klingt jetzt nicht gerade nach einer Methode, die wesentlich schonender wäre als eine zünftige Invasion mit Ufos. Ist sie aber! Denn manche Menschen haben nun einmal nur ein Lieblingsthema: ihre diversen Wehwehchen; so gesehen machen die Aliens zumindest einem Teil der Weltbevölkerung damit eine große Freude. Sie könnten auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - falls sie ihr Eroberungs-Projekt auch irgendwie finanzieren müssen: nämlich in Aktien von Pharmakonzernen investieren. Wenn es aber darum geht, die Erdlinge nur unauffällig zu beobachten, dann hätte das Lehrbuch sicher auch einen exzellenten Plan anzubieten - vermutlich hat ein Insider den Invasoren in verräterischer Absicht diesbezüglich einen Tipp gegeben: Zwar müssten sie natürlich sehr genau auf die Geografie achten, wo diese 'Werkzeuge' zum Einsatz kommen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen, aber dann wären sie unschlagbar: Haustiere! Die können beliebig oft unauffällig an Menschen herumkauen, sie abschlecken oder mit den Pfoten betatschen, um mehr über ihre Konsistenz und die physische Beschaffenheit zu erfahren. Sie dürfen überall hin – Küche, WC und natürlich auch ins Bett. So einen tiefen Einblick in das Intimleben gewähren sonst eigentlich nur nach Aufmerksamkeit süchtige Menschen in diversen Reality-TV-Formaten ... Aber das wäre ja alles fast harmlos, wenn man stattdessen eine andere Theorie ins Auge fassen möchte: Wir werden nicht irgendwann von Außerirdischen erobert und vernichtet, und schon gar nicht unauffällig von ihnen infiltriert und ausspioniert; vielleicht ist unsere Welt nur eine Art komplexe Ameisenfarm für extraterrestrische Sprösslinge? Das würde zumindest manches erklären ... |