Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
Geistige Nahrung
Das ist wahrlich keine allzu überraschende Erkenntnis: Die Menschheit also solche ernährt sich mit Hilfe denkbar ungeeigneter Lebensmittel und geht was deren Menge betrifft, nicht sehr zimperlich zu Werke. Schließlich handelt es sich dabei um eine äußerst erfreuliche Tätigkeit und viele Speisen schmecken dazu noch sehr gut! Außerdem haben nicht alle Zugang zu Informationen, die vor genau dieser Vorgangsweise warnen. Der wichtigste Aspekt wird jedoch nur selten berücksichtigt: der Alltagsmensch philosophiert zu wenig!!! Hoffentlich ist niemand, der das liest, gerade dabei genüsslich eine Mahlzeit einzunehmen, denn diese Erkenntnis würde eventuell zu einer ärgerlichen Entgegnung, damit unweigerlich zum Verschlucken und einem heftigen Hustenanfall führen. Somit wäre unbeabsichtigt der Gegenbeweis erbracht: sich intensiv mit dem Thema 'Essen' auseinanderzusetzen, ist denkbar ungesund! Trotzdem noch einmal: der Kontakt mit Nahrungsmitteln bedarf eindeutig philosophischer Begleitmaßnahmen! Wenn man dabei korrekt vorgehen will, kann/ muss/ soll man das einzig mögliche Motto unterlegen: Ich bin, was ich esse. Natürlich ist jedem ist bewusst, dass manche Gerichte ein Mehr an Zubereitung, Zeit und Kosten verbrauchen als andere, man könnte daher die Menschen zum Beispiel der Kategorie der 'Genießer' zuordnen. Es gibt aber auch noch Themen wie biologisch, vegetarisch, frutarisch, vegan und ähnliches; die Art der Ernährung trägt dabei einer speziellen Weltanschauung Rechnung. Es handelt sich jedoch wieder lediglich um das Aufzeigen des Zusammenhangs zwischen kulturellem Umfeld, Gehaltsklasse und Essensgewohnheiten. Es wird aber nun endlich Zeit sich über eines klar zu werden: man ist tatsächlich, was man isst! Dafür ist es wichtig das Bild nachzuvollziehen, das man sich gemeinhin vom eigenen Körper macht. Es handelt sich dabei weitgehendst um die Vorstellung von einem Gebilde aus mehreren physischen Bestandteilen von mehr oder minder hübscher Ausprägung. Im Idealfall baumelt an diesem Konglomerat noch ein Geist oder wenigstens irgendetwas Ähnliches. Letzterer ist nunmehr bestrebt seinem hochkomplexen - sprechen wir einmal von einem: - 'Maschinen- Anteil' die köstlichsten Leckerbissen zuzuführen, auf dass sie einerseits funktionieren und die Psyche andererseits auch noch Freude an diesem Energie-Input empfindet. Man geht dabei irgendwie so vor, als hätte man es mit einer Keksdose zu tun; wenn die Originalinhalte aufgebraucht sind, befüllt man es eben wieder mit Süßigkeiten oder vielleicht auch später einmal mit Schrauben. Das ist im Grunde gleichgültig, es kommt so oder so zu keiner Interaktion des Inhalts mit dem Behälter. Der Mechanismus in Bezug auf die menschliche Ernährung funktioniert jedoch anders, ähnlich einem Stück Würfelzucker, das in ein Getränk gegeben wird: es löst sich auf und wird gewissermaßen dessen Bestandteil. Wenn es von einem Menschen verspeist würde, landet es ebenfalls nicht in einem internen Auffangbehälter, es rotiert nicht nur durch diverse körperliche Kreisläufe, nein - es wird tatsächlich Teil jener Person. Der neckische Tadel beim Anblick von Mehlspeisen verschlingenden Personen lautet gemeinhin: 'Du bist ja ein ganz ein Süßer!' Allerdings kann hierbei weder von neckisch noch von Tadel die Rede sein. Es handelt sich schließlich um die nüchterne Feststellung einer Tatsache. Man braucht an dieser Stelle eigentlich nicht mehr näher ausführen, dass gewissenhaft betrachtet, tatsächlich Paprika durch die Adern der ungarischen Bevölkerung rollt. Allerdings ist man es der wissenschaftlichen Akribie schuldig, darauf hinzuweisen, dass es sich in letzter Konsequenz nur um die diversen Inhaltsstoffe desselben handelt und auch die Nationalitätenfrage etwas verschwimmt; man isst schließlich auch in anderen Ländern Gulasch. (Oder zumindest eine Art Geschmacks-Hybrid.) Was können wir nun aus dieser Analyse lernen? Natürlich in erster Linie, dass man sich sehr genau überlegen sollte, was man zu sich nimmt, denn man wird ja gewissermaßen zu diesem Lebensmittel. Ein weiterer Punkt streift nicht nur das persönliche Selbstverständnis, sondern ist sogar von internationaler Bedeutung. Um es mit einem Begriff zu skizzieren - Weltfriede! Dieser wünschenswerte Zustand wäre dadurch herbeizuführen, dass man die Menschen endlich als das sieht, was sie sind: wandelnde Lebensmittel! Zugegeben - manchmal zusätzlich mit einer Portion Charme, Intelligenz, Talent oder gutem Aussehen versehen ... Egal, man kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum etwa eine Kumulation von Pizza, zwei Bananen sowie einem Glas Lambrusco und eine Anhäufung bestehend aus einer Melange nebst einem Topfenstrudel aufeinander losgehen sollten - undenkbar! Manche Restaurantketten haben schon seit langem das Problem erkannt und versuchen mittels einer Minimierung der Speisen-Auswahl die Menschen buchstäblich auf eine Ebene zu bringen. Man kann ihre Bemühungen nur weltweit unterstützen, denn - was noch experimentell zu beweisen sein wird: - wenn alle Menschen das gleiche essen, setzen sie sich quasi aus identischen Stoffen zusammen und werden so perfekt harmonieren, genau wie ursprünglich geplant. (Und von exquisiten Köchen sabotiert!) Auch als einzelnes Individuum sollte man diese Bestrebungen unterstützen und sofort mit einer bedeutsamen Kleinigkeit beginnen: den Begriff 'Menü' zumindest aus dem kulinarischen Wortschatz zu streichen. Vielleicht sollte man geliebte regionale Köstlichkeiten zugunsten jener Gerichte, die von Millionen anderer verspeist werden, aus dem persönlichen Speiseplan verbannen - als kleinen Beitrag zum Weltfrieden? Die gute Absicht in Ehren, aber das klingt nach einer Fusion von der Hölle, der Höchststrafe und einer ganz dummen Idee. Nein, das klingt nicht nur so. Das wäre es auch. Schließlich gibt es noch einen Bereich der Nahrung, in dem man sich nicht so kasteien müsste: der geistigen! Wenn man diesbezüglich mehr darauf achten würde, was man zu sich nimmt, kann man wohl viel mehr bewirken; man wird vor allem auch erkennen, wie gefährlich Gleichmacherei mitunter werden kann. Somit wäre jede Handlung, die eine Stärkung der Individualität bewirkt, quasi ein zutiefst ethischer Akt. Und schon dürfen diverse Leibgerichte wieder auf den Speiseplan zurück und erhalten zu dem Prädikat 'köstlich' noch ein 'wertvoll'. So gesehen, hat sich das Philosophieren wirklich gelohnt und es bleibt eigentlich nur mehr eine Frage offen: Hat noch jemand bei diesem Thema Hunger bekommen? |