Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
Über den Umgang mit Kunstwerken
In Ausstellungsräumen kann man, wenn man nicht gerade in den Anblick eines Kunstwerkes völlig versunken ist, mitunter Zeuge einer - im folgenden angeführten - Fragestellung werden: "Wos is des? Kun'st mir des sågn?" Die hochdeutsche Übersetzung davon lautet:" Was ist das? Könntest du mir das sagen?" Man muss mit ihr also auf vertrautem Fuß stehen, denn weder mit Hochdeutsch noch mit der förmlichen Anrede für Fremde wird es zur Materialisierung des Begriffes 'Kunst' kommen. Doch noch etwas wesentlich Bedeutsameres ist daraus deutlich ablesbar: das Können wird nicht mehr dem Künstler, sondern eindeutig dem Betrachter abverlangt! Wenn man sich trotz Unkenntnis der Materie zu einem kleinen Ausflug in diesen Bereich aufmachen möchte, sollte man zumindest nicht auf einige Vorsichtsmaßnahmen verzichten: Bei einem Ausstellungsbesuch empfiehlt sich immer die Mitnahme einer befreundeten Person. Einerseits um etwaige überwältigende emotionalen Erlebnisse mit keinem Fremden teilen zu müssen. Weil andererseits folgendes passieren könnte: man durchschreitet eine nicht näher bezeichnete Tür und sieht sich Angesicht in Angesicht mit aufgehängter Wäsche konfrontiert. Als halbprofessioneller Kunstliebhaber bestaunt man pflichtgemäß diese Objekte als reifstes Werk des betreffenden Künstlers. Man tut dies nicht etwa aus geistiger Umnachtung heraus,sondern weil man ein beinahe orthodoxer Anhänger jener Bewegung ist, die sich (vereinfacht ausgedrückt) darauf beruft, dass jeder Gegenstand zum Kunstwerk erhoben werden kann und man ohne die notwendige Vorbereitung eben annimmt, dass die Ausstellung dieser Kunstrichtung gewidmet wäre. Nun kann allerdings der Fall eintreten, dass ein Aufsichtsorgan - vielleicht nicht besser mit der Materie, aber auf jeden Fall mit den Örtlichkeiten vertraut - darlegt, dass es Besuchern nicht gestattet ist, sich in dem Abstellraum aufzuhalten. Pflichtgemäß wird man sich in die offiziellen Räumlichkeiten zurückbegeben, wo zwar auch nasse Wäsche aufgehängt ist, diesmal jedoch sozusagen legal als reifstes Kunstwerk des betreffenden Künstlers deklariert. Wenn man sich nun quasi im Schulterschluss mit der vertrauten Person befindet, die wir in den oberen Zeilen stehengelassen haben, kann man wenigstens zu zweit - erfolglos selbstverständlich - versuchen, die Peinlichkeit der Situation etwas abzumildern. Doch auch in Gesellschaft ist noch nicht jegliche Gefahr gebannt, die auf naive Besucher lauert: Gesetzt den Fall im Ausstellungsraum befindet sich ein Alltagsgegenstand wie ein Feuerlöscher oder ein Heizkörper, dann ergeben sich daraus genau zwei Interpretationsmöglichkeiten: a) es handelt sich offensichtlich um einen Alltagsgegenstand b) es handelt sich nicht ganz so offensichtlich um ein Kunstwerk Nun gilt es die eigene Unsicherheit über diesen Punkt geschickt zu verbergen. Oberflächlich betrachtet, scheint es die günstigste Lösung zu sein, laut und pseudointellektuell über dieses Objekt zu diskutieren. Dann wird man von den anderen Besuchern, je nach deren Unkundigkeit, als gebildet oder wenigstens als humorvoll gewürdigt. Doch man darf dabei einen wesentlichen Faktor nicht außer acht lassen: jede Ausstellung, die etwas auf sich hält, verfügt über Werke, die unter dem Begriff 'Videoinstallationen' einzureihen sind. Man läuft also auf diese Weise Gefahr unbeabsichtigt Bestandteil einer benachbarten Aufzeichnung zu werden. Es gilt daher während eines Ausstellungsbesuches häufig zu überprüfen, ob die Präsentation der eigenen Person dafür geeignet ist, zum Teil eines Kunstwerkes zu werden - was mit geistlosem Geschwätz natürlich keineswegs der Fall wäre... Sensiblen Menschen kann man daher nur raten, nichts dem Zufall zu überlassen und diese heikle Konfrontation schon wesentlich früher durch gewissenhafte Vorbereitung zu verhindern. Das bedeutet, dass sich jene, die den Schritt in ein neues Kunstverständnis nicht wagen wollen, klar werden müssen, was sie überhaupt unter 'Kunst' verstehen und wie sie erhoffen, selbige dargeboten zu bekommen. In Bezug auf Bilder könnte die Definition einer Ausstellung folgendermaßen lauten: ein echtes Gemälde ist etwa 0,8 mal 1,3 Meter groß. Die Darstellung von Personen, Landschaften und Szenen des Alltags sollte naturalistisch und mittels Ölfarben erfolgen. Die Aufhängungsdichte einer Ausstellung sollte 4 Bilder pro Wand nicht überschreiten. Wenn es unbedingt sein muss, dass auch als Kunstwerke deklarierte Alltagsgegenstände vorhanden sind, dann sollte der betreffende Künstler wenigstens soviel Anstand besitzen, sich dafür einen originellen Titel ausgedacht zu haben! Mit dieser begrifflichen Eingrenzung versehen, suche man sich nun eine Örtlichkeit aus, dessen Angebot in das eigene ästhetische Weltbild nahtlos eingefügt werden kann. Je flexibler die Definition gehandhabt wird, desto höher sind natürlich die Chancen etwas Passendes zu finden. Wobei sich bei einem breiteren Angebot in einer Institution dementsprechend auch die Gefahr erhöht, doch wieder mit anderen Kunstgattungen in Berührung zu kommen. Dann wird man sich - zumindest heimlich - die Frage stellen, warum man rund zehn Euro dafür bezahlt hat, um unter anderem eine Waschmaschine ('ohne Titel') zu bestaunen. Das hätte man gratis in jedem Elektromarkt auch tun können. Dort stehen sogar mehrere davon herum, die vielleicht auch ein weitaus ansprechenderes Design aufweisen. Ganz zu schweigen von jener, die im eigenen Heim nicht nur als Dekoration dient, sondern brav ihre Aufgaben erfüllt. Obwohl sie noch nie ein Museum von innen gesehen hat, wäre es gar nicht weiter schwer, sie in eine Interaktion mit einem anderen Kunstwerk einzubinden! Wie das funktionieren soll? Zuerst investiert man das ersparte Eintrittsgeld in ein hübsch verziertes Tortenstück, denn solche Mehlspeisen werden öfter mit dem Ausruf: 'Was für ein Kunstwerk' geadelt. Dann stellt man sich vor die Waschmaschine (Kunstwerk1) hin um den Kuchen (Kunstwerk 2) genüsslich zu verspeisen. Wer wagt es jetzt zu widersprechen, dass es sich dabei auch um ein waschechtes Kunsthappening handeln würde ..? Weil wir gerade von käuflich erwerbbaren Kunstwerken gesprochen haben: Vielleicht kommt mancher Interessierte auch auf die Idee seinen Hunger nach bildender Kunst in einer Galerie zu stillen. Genau betrachtet handelt es sich dabei um ganz gewöhnliche Geschäfte, einmal davon abgesehen, dass die Ware, die feilgeboten wird im allgemeinen nicht so nützlich wäre wie Brot oder Schreibtischlampen - und meistens auch empfindlich teurer. Das ist nicht weiter schlimm, denn es spricht nichts dagegen, auch in diesem Umfeld einen beliebten Standardsatz zu verwenden:'Ich möchte mich nur umschauen.' Falls man sich doch ein Kunstwerk mit nach Hause nehmen möchte, würde wieder einmal eine sorgfältige Vorbereitung gute Dienste leisten; so kann man mit jener Definition im Hinterkopf, die wir weiter oben erarbeitet haben, dem Galeristen seine individuellen Vorstellungen präsentieren, vielleicht noch mit der Unterstützung von Bildmaterial: 'Das ist mein Arbeitszimmer - das Gemälde sollte farblich zu dieser Sitzgruppe passen ..' Es mag zwar durchaus legitim sein, sich über manche diesbezüglichen Fehlentwicklungen lustig zu machen, Allerdings sollte man sehr vorsichtig dabei vorgehen, sonst läuft man dabei Gefahr, die Existenz der kaiserlichen Kleider zu negieren, nur weil man sie nicht wahrnehmen kann. Das Vorurteil sollte aber vor allem niemanden daran hindern, sich mit den Schöpfern der Werke selbst zu unterhalten. Zwar wird sich die sinnliche Komponente, die den Kontakt mit Kunstwerken eigentlich dominieren sollte, nicht nachträglich einstellen, aber man versteht manchmal die Intention, die dahintersteckt und kann die Bemühungen zumindest ehrlich honorieren. Ungeachtet des einen oder anderen unerfreulichen Erlebnisses, empfiehlt es sich daher der modernen Kunst eine Chance zu geben. Man sollte auf alle Fälle diesbezüglich Augen, Ohren und natürlich vor allem den Geist offen halten, und sich vielleicht auch daran gewöhnen, dass man immer öfter interaktiv tätig werden muss. Vielleicht wird das aufrichtige Bemühen irgendwann belohnt und man schafft es einen Zipfel ihrer Bedeutsamkeit zu erhaschen. Oder - nicht ganz so anspruchsvoll - wenigstens einige unterhaltsame Stunden damit zu verbringen! |