Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
Mit uns hat die Schöpfung nicht gerechnet (1.Teil)
Und wie es sich zeigt, braucht sie das auch weiterhin nicht zu tun. Obwohl wir Schreiberlinge uns rund um die Uhr an alle möglichen Gerätschaften setzen - von dem stylischen Notebook über nostalgische Schreibmaschinen bis zur praktischen Papier/Bleistift-Kombi - um sie darzustellen, zu preisen oder auch gnadenlos zu kritisieren. Manchmal gelangt ein literarisches Endprodukt zum richtigen Empfänger und bewirkt bei selbigem eine kleinere Veränderung seiner Denkweise. Hin und wieder schaffen es ein Artikel oder ein belletristisches Werk sogar, die Menschen derart aufzurütteln oder zu inspirieren, dass etwas wirklich Großes in Gang gesetzt wird. Aber seien wir doch selbstkritisch - mit einer Kumulation von Tönen, sprich: einer schnuckeligen Melodie kann man mit weniger Aufwand viel mehr erreichen; denn wann hätte man erlebt, dass jemand ein Buch zur Seite legt und aufspringt, um dann vor Begeisterung zu klatschen, zu tanzen und herumzuhüpfen? Zumindest gibt es keine Aufzeichnungen oder Beweise, dass sich eine solche Begebenheit jemals ereignet hätte! Im Gegenteil: Viele warten bei einem Roman sogar auf die Verfilmung, um dann im Kino - von der bewegenden Handlung emotional aufgewühlt - hemmungslos zu schluchzen oder verstohlen Zärtlichkeiten auszutauschen. Musik schafft es selbst im profanen Umfeld eines Werbespots manchmal den Menschen ein paar Tränen der Rührung zu entlocken. Daher stellt man sich als Autor (- je nach Charakter -) ärgerlich oder deprimiert die alles entscheidende Frage: Auf wie vielen Seiten muss man eine gefühlvolle Geschichte mit sympathischen Protagonisten, einem interessanten Plot und einem dramatischen Handlungsbogen entwickeln, um die selbe Gefühls-Explosion zu erzielen, wie das Foto eines einzigen herzigen Welpen? Mit 'einzig' wären wir schon beim nächsten Problem: sowohl die Herstellung von Literatur als auch deren Konsumation ist eine sehr einsame Angelegenheit; mit meist nur einem einzigen Teilnehmer. Zwischen die Erschaffung epochaler Werke und das Freizeitvergnügen von Leseratten oder Bücherwürmern, hat die findige Schöpfung mehrere Hürden aufgestellt, die sich häufig als unüberwindbar entpuppen. Ähnlich der Situation von zukünftigen Liebespaaren, ist es nämlich auch für die Veröffentlichung von literarischem Output unumgänglich, dass ein Werk und sein Verleger einander überhaupt einmal treffen!!! Die Profanität dieses Problems darf dabei nicht über dessen Bedeutung hinwegtäuschen: von der einen Gruppe gibt es nämlich sehr viele, von der anderen nur sehr wenige! In den glorreichen Zeiten des Internets wäre es natürlich möglich, das eigene Werk irgendwo in den virtuellen Raum hineinzustellen - und schon kann es dort fröhlich auf seine Leser warten. Das Ritual, das üblicherweise dem erlösenden getippten Wort 'Ende' folgt, wäre jedoch nahezu eliminiert. Kein Ausdrucken des Manuskripts, kein Verschicken und auch keine Zusage mehr in Form eines Briefes, den man voll Begeisterung an den Busen drückt. Andererseits kann man mit dieser Methode verhindern, dass die Schöpfung ihre 'Schergen' aussendet, um eine Publikation zu verhindern. Mit solchen Aussagen in einem alltäglichen Gespräch würde sich übrigens ein getarnter Literat eindeutig verraten, denn jeder halbwegs normale Mensch würde für den obigen Satz eine weitaus weniger schwülstige Formulierung wählen und prosaisch anmerken, dass Lektoren oder sonstige Verlagsmitarbeiter leider viel zu oft aus Mut- oder Fantasielosigkeit ein interessantes Werk verhindern würden. Doch gleichgültig, ob man von 'Banausen' spricht oder die Bezeichnung 'gedungene Helfer' benutzt, sie sprechen sich meist für das Strafhöchstmaß aus: VERBANNUNG - in die unterste Schublade. Doch selbst in veröffentlichtem Zustand, zum Beispiel als Bestandteil einer Bibliothek, weiß es die Schöpfung oder sonst irgendeine finstere Macht zu verhindern, dass sich zu viele Leser daran erfreuen. Ein literarisches Werk hat es überhaupt bis dorthin geschafft? Nun, dieser Fehler wird durch eine der hinterlistigsten Erfindungen überhaupt behoben: viel, wirklich viel Konkurrenz! Als wäre das Ignorieren des Konglomerat aus Ideen, Zeit, Nerven und Herzblut nicht schon schlimm genug, muss der Autor auch noch mitansehen, wie das Desinteresse der Leser an diesem Buch gnadenlos optisch versinnbildlicht wird - durch eine dicke Staubschicht. Nun könnte man naiv anführen, dass das Verfassen von Literatur doch schon den Lohn in sich selbst tragen würde, allein schon durch die therapeutische Wirkung, die jede künstlerische Betätigung begleitet. Diesen positiven Effekt kann und will man auch gar nicht leugnen. Insgeheim jedoch autorisiert man sich selbst nur aus einem Grund, nämlich um das vermeintlich hochfaszinierende eigene Innenleben den Mitmenschen zu offenbaren! Wenn es nicht gerade unfähige Helfershelfer der Literaturindustrie verhindern! Oder auch der Unwille sich als moderner Mensch einer virtuellen Publikation zu bedienen. Der angepeilte Adressat wird jedenfalls von den Texten ferngehalten und damit unter Umständen auch von gedanklichem Input, das vielleicht sein Leben verändern wird. Das wagt man ja gar nicht zu hoffen, man liebäugelt viel mehr damit, dass es einmal von mehreren Leser als 'eines meiner Lieblingsbücher' bezeichnet werden würde. Das Dasein als Autor wird heutzutage noch aus einem wesentlich Grund erschwert: das Verfassen zukünftiger Weltliteratur benötigt nach wie vor abertausende Sekunden und mindestens so viele Buchstaben. Aber was das Zusammentreffen mit potentiellen Interessenten betrifft, hat man wertvolle Verbündete verloren - alle sinnlichen Wahrnehmungen. Ein eBook hat nicht diesen typischen Papier-Duft, es vermittelt nicht das angenehme Gefühl, wenn man es in die Hand nimmt, oder mit dem Finger die Angaben auf der Titelseite nachzeichnet; von den unterschiedlichen Formaten sowie Dicke oder Gewicht, die den Leser emotional ansprechen, wollen wir gar nicht erst anfangen. Das bedeutet: man hat nur die abertausenden Buchstaben, die man in mindestens so vielen Sekunden zu Geschichten zusammengefügt hat, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erlangen und möglichst zu behalten. Diese Betrachtungen sind allerdings zu pessimistisch! Es stimmt natürlich - so manches literarische Werk macht nicht die Bekanntschaft eines begeisterten Lesers. Es leistet jedoch als Ingredienz eines Altpapiercontainers noch Bedeutsames für das Pressewesen oder kann in Gestalt eines romantischen Kaminfeuers noch sehr viel Poesie Ausdruck verleihen ... Apropos 'Poesie'': Das hat man nun davon, dass man sich nicht für irgendeinen belanglosen Titel entschieden, sondern die Schöpfung leichtsinnigerweise quasi als personifizierten Protagonist eingeführt hat; man muss sich im letzten Absatz noch einmal irgendwie mit ihr beschäftigen! Deshalb sagen wir Literaten ihr an dieser Stelle ein kleines Dankeschön - ungeachtet aller Dissonanzen. Denn sie schenkt uns manchmal unvergleichliche Momente, nämlich wenn es gelungen ist, mindestens einen Leser oder auch Zuhörer irgendwie zu berühren. Außerdem hebt sie einige aus der Masse der schreibenden und dichtenden Menschen heraus und beschenkt sie mit dem Nobelpreis für Literatur. Aber auch jenen, die auf Auszeichnungen oder sogar auf eine Veröffentlichung verzichten müssen, gestattet sie immerhin sich auf spezielle Weise über sie zu beschweren! Diese Anklage könnte dann – dichterisch aufbereitet – ungefähr folgendermaßen lauten: Mit Dir, Du Schöpfung, oh, geht's uns gerade so: wir fangen nun zu glauben an, dass man mit Dir nicht rechnen kann! |