Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
Schafft den Narren fort!
Eigentlich sollte man gar nicht so weit gehen, sich dieser radikalen Forderung eines Werkes der Weltliteratur *) anzuschließen. Es würde völlig genügen diverse Randerscheinungen des Narrentums abzuschaffen, wie etwa jene bunten Lampen, die man in Städten, jetzt auch häufiger im ländlichen Raum, herumhängen sieht. Zugegeben, die Anordnung der zwei bis drei Farben (rot/grün bzw. rot/gelb/grün) ist nicht unoriginell und durchaus stylisch. Allerdings sollten Plädoyers für Deko-Elemente im öffentlichen Raum und gewisse nostalgische Gefühle, nicht dem Endergebnis einer seriösen Evaluierung vorgreifen. Denn, lieber Ampelerfinder, Hand auf's Herz: Erwarten Sie ernstlich, dass ein phantasieloser Durchschnittsmensch beim Anblick von bunten Lampen derart abstrakte Begriffe wie 'geh', 'schau' und 'steh' assoziieren kann? Die Praxis lehrt, dass Menschen in diesem Bereich Emotionen über die Ratio stellen. Die Überquerung der Straße erfolgt daher gemäß der Bedeutung, die man den Farben allgemein zuschreibt: So symbolisiert 'Grün' die Hoffnung, die Kreuzung doch irgendwann hinter sich bringen zu können. Außerdem wirkt diese Farbe beruhigend - die gedankliche Verbindung zu einer Wiese, die zum Verweilen einlädt, drängt sich auf. Man wartet daher geduldig auf die nächste farbliche Phase. Bei 'Gelb' gibt es ein kräftiges Lebenszeichen vom Neid: die anderen sind schon drüben oder setzen gerade - bzw, in abbiegender Weise, je nachdem - zu einer Überquerung an. Wobei es recht demokratisch zugeht, denn diese negative Emotion lässt man sowohl Fußgängern als auch sich in/auf irgendeinem Gefährt befindlichen Verkehrsteilnehmer großzügigst zukommen. Mit 'Rot ' endlich erwacht man zum Leben. Feuer, Leidenschaft sind die positive Motivation, Zorn und Aggression die negative (für solche, die bei 'Rot' wirklich rotsehen!) Alles drängt zur Bewegung hin; Kraft und Stärke kontra kleinliche Verkehrsregeln. Aus diesem Grund pflegen auch Handytelefonierer die Straßen beliebig zu befahren, da die Beneidenswerten die Anfeuerungsrufe ihrer Gesprächspartner im Ohr haben. Doch irgendwie haben die Ignoranten nicht ganz unrecht, wenn sie auf ihre Weise protestieren, denn schließlich sollen sie entgegen der natürlichen Entwicklung agieren - man denke etwa an den Werdegang einer Frucht, die nach den Phasen 'Grün' und 'Gelb' mit 'Rot' das Signal des Falles von der Staude bekommt! Dazu kommt noch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, nämlich die Negierung jedweder Privilegien; so muss etwa - falls völlig unerwartet das 'Grün' nicht ewig dauern sollte - jedes Fahrzeug anhalten, unabhängig von Marke,Kaufpreis oder ideellem Wert! Während die Glücklichen an den staunenden Passanten vorbeirauschen, muss sich der Nachzügler nach einer spektakulären Bremsung noch die verächtlichen Blicke der Nicht-Einmal-Mit-Einem-PS-Unterwegs-Seienden gefallen lassen! Nun, da sich also Ampeln allgemein nur mehr geringer Aufmerksamkeit erfreuen, und man diese Bollwerke für die Verkehrssicherheit ohnehin schon mit umstrittenen Piktogrammen zweckentfremdet hat, könnte man noch einen Schritt weitergehen; mit einem Wort: Werbung! Die Größe oder genauer gesagt deren Mangel wäre kein wirkliches Problem für Menschen, die den lieben langen Tag (und darüber hinaus) auf einen Monitor starren, der kaum die Ausmaße einer Streichholzschachtel überragt. Außerdem, wer fragt schon nach dem Sinn von irgendwelchen Maßnahmen, solange sie Geld bringen? Nein, das war zynisch, wählen wir lieber die Variante B, kehren wir zurück zur Urform des Kampfes Mensch versus Maschine. Das erhöhte Risiko bringt sicher prickelnde Atmosphäre in den faden Alltag. Leider macht uns jedoch die technologische Entwicklung einen kräftigen Strich durch die Rechnung, denn die Fahrzeuge werden zunehmend häufiger von Computern gesteuert. Diese kennen bekanntlich keine Emotionen und bekommen hübsch einprogrammiert, was sie genau tun sollen, zum Beispiel bei Rot' stehenzubleiben und so weiter. Mit Hilfe von Sensoren an den Fahrzeugen werden noch dazu laufend Berechnungen über die Distanz zu anderen Verkehrsteilnehmern angestellt oder unerwartete Ereignisse registriert. Eine gewisse Zeit wird alles auch wunderbar funktionieren. Die Ampeln, falls man sie noch nicht entfernt haben sollte, werden dann tatsächlich zu hübschen bunten Deko-Elementen degradiert - zumindest ungefähr von Januar bis August, wenn ihnen keine Weihnachtsbeleuchtung Konkurrenz macht. Aber währenddessen tut der Fortschritt genau das, wonach man ihn benannt hat: er schreitet fort. Die Computer werden immer lernfähiger, und somit allmählich der menschlichen Intelligenz angeglichen. Man kann sich daher narrensicher sein, dass in nicht allzu ferner Zukunft folgender Dialog stattfinden wird: Auf die Frage eines verärgerten humanoiden Verkehrspolizisten, warum er bei 'Rot' weitergefahren wäre, wird die Antwort des Blechlings wohl lauten: „Weil das unlogisch wäre! Ich habe die Datensätze für diese farbliche Abfolge ausgewertet und weigere mich daher, entgegen der natürlichen Entwicklung zu agieren - man denke etwa an den Werdegang einer Frucht, die nach den Phasen 'Grün' und 'Gelb' mit 'Rot' das Signal des Falles von der Staude bekommt “... Zu diesem Zeitpunkt werden nicht nur die Verkehrsleuchte und die fiktive Frucht eine rote Farbe aufweisen, sondern ebenso das von Ärger gezeichnete Gesicht des Gesetzeshüters. Da man offenbar auch die Narren 3.0 nicht so ohne weiteres fortschaffen kann, werden uns auch die Ampeln vermutlich noch ziemlich lange erhalten bleiben ... ------------------------------------------------------------------ *) John Boynton Priestley: 'Schafft den Narren fort' |