Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
'M' UND DIE UMWELT
'M' ist nicht nur ein Kollege des legendären Mister James Bond. 'M' ist auch genau derjenige, der Umweltschutz und Umweltschmutz zu trennen vermag - also eindeutig mehr als lediglich ein dummer Buchstabe. Schließlich entscheidet er darüber, wie man mit all den Angeboten seiner Umwelt umgeht . nur irgendwie oder voll Rücksicht und Sorgfalt. Erfreulicherweise scheinen sich immer mehr Menschen für letztere Variante zu entscheiden. Abseits des offensichtlichen Vorteil für die Welt insgesamt, bietet diese Lebenseinstellung noch zusätzlich Vorteile für die eigene Biographie, denn Langeweile gehört ab sofort der Vergangenheit an! Schließlich muss man viel Zeit und Mühe für die fachgerechte Entsorgung seiner Abfälle aufbringen, inklusive der Beschäftigung mit einer Menge Fragen. Einerseits natürlich in puncto Basiswissen: 'Was gehört wohin?' Andererseits jene mit philosophischer Ausprägung: 'Kann man trotz der permanenten und nervenden und klirrenden Geräuschkulisse die Altglassammlung noch immer bedingungslos befürworten?' Drittens gibt es noch den strategisch/logistischen Bereich; bedingt durch den mangelnden Fassungsraum so mancher Container: 'Wie schafft man es, sich dortselbst rechtzeitig vor der nächsten totalen Überfüllung einzustellen?'. Was die Antwort auf die letzte Frage betrifft: Samstag in den frühen Morgenstunden! Gerade rechtzeitig vor der nächsten Entleerung und anderen Zeitgenossen, die diesen Zeitpunkt ebenfalls für sehr günstig erachten. Die Dunkelheit stellt dabei kein wesentliches Problem dar - man kann sich ganz leicht mittels des Geruchssinns orientieren: das unangenehmste Duftkonglomerat gehört zweifelsohne zur Biotonne. Die Gerüche von Bier und Limonade sind ganz leicht dem Aludosen-Kübel zuzuordnen. Leichter Modergeruch entsteigt im Normalfall den Plastikfolien-Tonnen. Daher bleibt eigentlich nur mehr die Duftnote 'Fisch' über. Da auch eingefleischte Sammler wissen, dass solcher nicht in die Biotonne gehört, kann der passende Geruch dazu nur mit dem Altmetallcontainer in Verbindung gebracht werden. Letzterer ist allerdings auch ganz leicht mittels des Tastsinns zu erkennen, da meist ein Kühlschrankteil oder Bettpfosten aus selbigem ragt. Falls man den richtigen Zeitpunkt versäumt hat, kann man alles wieder getrost mit nach Hause nehmen. Denn gerade in diesem Zusammenhang zeigt es sich, dass der Begriff 'Müll' eindeutig schlecht gewählt ist - es steckt doch sooo viel mehr im vermeintlichen Abfall ! Die blankgeputzten Dosen könnte man nach dem Vorbild diversen Popart-Ikonen in ein Kunstwerk verwandeln, zwischen den Seiten des Altpapiers verbirgt sich eine ganze Papierschiff-Flotte. Und der Biomüll könnte unter Umständen noch die Ernährung eines (geschmacklich anspruchslosen sowie gesundheitlich strapazierfähigen) Mini-Schweins ermöglichen. Das klingt alles recht effizient und man ist es einer intakten Umwelt irgendwie schuldig, sich diesbezüglich sehr viel Mühe zu geben. Mögen deshalb die Werte der Luftverschmutzung und das Ozonloch selbst schrumpfen, man wird dennoch sehr betrübt sein. Denn es wird zugleich auch ein anderer wichtiger Aspekt des menschlichen Lebens eliminiert: die Poesie! (Von einer zünftigen Katharsis ganz zu schweigen!) Wenn man nämlich in längst vergangenen Tagen das Objekt seiner Liebe verlor, war man in erster Linie unglücklich. Je nach den Umständen, die zur Trennung geführt haben, vielleicht auch verärgert. Es erwies sich jedoch als äußerst schwierig der legitimen Forderung eines zornigen Mozart-Protagonisten nachzukommen: Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen, dann verbrannt, dann gebunden und getaucht; zuletzt geschunden... x) Im Normalfall war die eigene ethische Einstellung größer als das Verachtungs-Potential dem Delinquenten gegenüber. Die verbale Komponente - sprich: wüste Beschimpfung - wurde meistens auf Familienmitglieder oder Freunde übertragen. (Oder sonstige humanoide Kollateralschäden, die sich nicht schnell genug in Sicherheit brachten.) Dann blieb noch jener Bestandteil der Verärgerung, dem man irgendwie haptisch beikommen musste. Man griff daher kurzerhand auf einen Mechanismus zurück, der in ähnlicher Form einen bedeutsamen Bestandteil im Voodoo-Kult darstellt: ein Stellvertreterobjekt wurde ausgewählt. Da in den westlichen Kulturen der Umgang mit der Akupunktur von Wachspuppen nicht sehr verbreitet ist, rächte man sich kurzerhand an einem Schnappschuss des Betreffenden. (Die Fotografie ist deshalb ohne Zweifel eine der nützlichsten Erfindungen aller Zeiten!) Das Abbild wurde mit Hilfe von Aggression, Zorn und nicht zuletzt reißenden Bewegungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Überbleibsel dieser Zerstörungsorgie wurden dann noch einem zufällig vorbeifließenden Gewässer übergeben. ( .. und landeten im günstigsten Falle im Magen eines ekelhaften Wasserbewohner.) Womit die Eliminierung, ohne dass man sich an der Humanität strafbar gemacht hätte, säuberlich und dennoch durchaus befriedigend abgeschlossen war. Wie sieht nun die Angelegenheit aus, wenn sich nicht nur die Liebe, sondern auch 'M' aus dem Staube gemacht hat? Statt in aufwallenden Emotionen den oben beschriebenen Vorgang ausführend, muss sich der von Leben und Liebe so schmerzlich Verrwundete auch noch mit profanen Details herumschlagen: Das zersplitterte Glas ist von dem zerbrochenen Rahmen zu trennen, die Fotoschnipsel müssen natürlich in den Sondermüll. Die ausgerauften Haare ja nicht in die Biotonne werfen! Und wo gehört nun der PVC-Belag hin? (Er ist durch Blutspritzer, dem Salz ganzer Tränenströme und dem Schaum der vorangegangenen Raserei irgendwie aufgeweicht!) In dieser verfahrenen Situation war es weder sehr tröstlich, noch sehr nützlich zu erfahren, dass man wenigstens die Ökologie nicht verraten hat. Andererseits profitierte auch eine andere Personengruppe von dieser Vorgangsweise; denn für Menschen, die Müllcontainer nach Brauchbarem durchsuchten, gestaltete sich ihr Alltag sicher interessanter, wenn sie diese Relikte fanden. Sie erkannten vielleicht, dass sie nicht einfach Abfall, sondern die Überreste von menschlichen Tragödien in Händen hielten ... Doch das gehört der Vergangenheit an. Was machen die vom Liebesleid gebeutelten Menschen im 3. Jahrtausend? Das Konterfei der verhassten Person grinst frech als Bildschirmschoner herunter und befindet sich in sämtlichen Galerien von Kontaktdaten über Speicherkarten bis zu sozialen Netzwerken. Natürlich kann man es durch Löschen eliminieren; aber ein Druck auf 'Entf' oder das Papierkorb-Symbol - das bietet nicht wirklich das selbe Feeling wie das Zerreißen eines Fotos! Selbst wenn man wegen der vermaledeiten Vernetzung ungefähr tausend und ein Bild elektronisch ausradieren muss; diese überbordende Quantität ist jedoch keineswegs im Stande das körperliche Ingredienz der emotionalen Aufarbeitung zu ersetzen. Nun, da fällt einem spontan nur eine logische Vorgehensweise ein: man entsorgt auch diesmal wieder das Speichermedium. Also fliegt nicht ein zerrissenes Foto, sondern das Smartphone in hohem Bogen in irgendein Gewässer. Tja, das sollte man nur Personen raten, die normalerweise gut mit ihren Mitmenschen auskommen! Es wird sonst eine sehr teure Angelegenheit, wenn alle paar Monate ein Handy diverse emotionale Krisen durch seinen feuchten 'Freitod' kompensieren soll. Vom Umweltschutz haben wir uns damit auch meilenweit entfernt! Wen wundert's? Es wird doch in Krisensituationen auf Angelegenheiten von sekundärer Bedeutung gerne vergessen ... Man schnappt sich daher alle elektronische Geräte, die Fotos speichern können (- also, eigentlich alle bis auf den Toaster -) und fährt damit zur nächsten Brücke. Dort stehen schon andere Opfer von Amor und werfen systematisch ihre Smartphones, Notebooks sowie artverwandte Geräte ins Wasser. Vielleicht abgesehen vom gruppendynamischen Effekt ('Du bis in deinem Schmerz nicht allein'), macht das ganze nicht wirklich Freude. Vor allem wenn man es nicht mit einem sehr tiefen Gewässer zu tun hat! Denn dann wird einem nicht einmal das erlösende 'Platsch' geschenkt, sondern man wirft seine Gerätschaft auf den Elektronik-Friedhof, der sich dort bereits formiert hat. Statt der ersehnten Erleichterung, wird man noch dazu mit neuen ärgerlichen Ereignissen konfrontiert: Ein Beamter in Zivil versteht die seelischen Nöte nicht, sondern schreitet wegen schwerer Umweltverschmutzung ein. Das bedeutet nicht nur juristische und finanzielle Konsequenzen; nein, bei der Fahrt zum Revier stellt sich noch eine unerfreuliche Erkenntnis ein: man hat auf eine alte Festplatte vergessen, auf der sich auch noch unzählige Fotos befinden ... Wie soll man dann als verantwortungsbewusster Erwachsener seinen Kummer verarbeiten: vielleicht irgendwo ein Blümchen pflanzen, dieses knipsen und gegen die Fotos von dem Betreffenden austauschen? Hierbei ist uns 'M' wieder absolut keine Hilfe, denn dieser Plan ist Mist. ------------------------------------------------------------------------------- X) Osmin in: Die Entführung aus dem Serail' (Mozart.Oper) 1. Aufzug, 4. Auftritt |