Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
Wer ist so FREI ZEIT richtig zu nutzen?
Wahrscheinlich wäre eine ganze Anzahl von Leuten dazu bereit. Die Frage müsste eher lauten: wie soll man dabei vorgehen? Überraschenderweise enthält die Antwort darauf - obwohl eigentlich im nicht so anspruchsvollen Bereich der menschlichen Existenz angesiedelt - ganz nebenbei den Beweis für eine berühmte Theorie. Wie das? Indem sich sich zwei Personen treffen und folgende Unterhaltung führen: A: „Na, was hast du seit letztem Freitag so gemacht?“ B: „Ich war im Theater und im Kino, bei einem Tennismatch, einem Fußballspiel, habe Karten gespielt, an einem Schachwettbewerb teilgenommen und einen Vortrag gehört.“ A: „Wow, dann warst du ja letzte Woche ungemein aktiv!“ Dieser Bemerkung würde man wohl voll Bewunderung zustimmen, bis man ... nun, bis man etwas darüber nachdenkt; denn eigentlich hat sich Person B an diverse Orte begeben, nur um dort zu sitzen und zu schauen. Vielleicht abgesehen von dem Tennismatch, wo sie laufend den Kopf oder zumindest die Augen von einer Seite auf die andere bewegen musste, um das Geschehen zu verfolgen. (Ebenso bei dem Fußballspiel, zumindest wenn es sich um zwei gleich starke Mannschaften handelt.) Also sitzen und schauen - und das bezeichnet man als 'aktiv'? Wenigstens sind das gute Nachrichten für moderne Rentner: sie können wie viele Generationen vor ihnen ohne gesellschaftlichen Druck ihren Lebensabend auf einer Parkbank verbringen; wenn sie es nicht unterlassen zu schauen, können sie sich ungeniert als 'aktiv' bezeichnen .. Wenden wir uns interessehalber andern Möglichkeiten zu, jene Zeit zwischen vorgegebenen Pflichterfüllungen zu verbringen. Doch auf welche man dabei auch sein Augenmerk richtet, eine gemeinsame Eigenschaft scheint jede diesbezügliche Tätigkeit zu charakterisieren: 'kompliziert'. Denn anstatt zum Beispiel einfach mit einem Ball zu spielen zu dürfen, muss dieser genau irgendwelchen Normen entsprechen was Größe, Gewicht, Material und Farbe betrifft. Wenn man sich schon beim Equipment so viel Mühe gibt, ist es nur logisch dem Spiel oder der Sportart selbst ein sehr strenges Reglement aufzubrummen. Diesbezügliche Ratgeber lassen die Ausmaße von russischen Klassikern wie etwa 'Krieg und Frieden' als dünne Broschüren erscheinen. Allerdings beginnt man zu ahnen, warum so viele Menschen von körperlicher Tätigkeit in ihren Mußestunden Abstand nehmen - man kann offenbar nicht mehr fröhlich damit loslegen, sondern muss sich erst mühsam in die Materie einarbeiten. Genügend Puste und die passenden Wadln waren gestern, heute braucht man etwa fürs Joggen ein paar Semester Medizinstudium und selbstverständlich mentale Stärke. Weil man schon vor langer Zeit erkannte, dass manche Formen der Freizeitgestaltung nicht nur physisch zu bewältigende Bestandteile aufwiesen, andere mehr als nur geistige Anstrengung erforderten, hat man ein schickes Crossover kreiert. Unter dem Überbegriff 'Denksport', kann man Bridge und Schach spielen, aber auch gemütlich Rätselaufgaben lösen. Selbst viele Gesellschaftsspiele tarnen sich nur mit dieser Bezeichnung, denn es wird ganz schön viel Gehirntätigkeit verlangt, etwa was Strategie betrifft. Nebensächlich, aber interessant ist die Frage, warum Schach nicht dazugehört;. denn man hat meistens mindestens einen Gegenspieler und überquert das Spielfeld immer in Gesellschaft von 16 Bauern, 4 Mitgliedern des Hochadels und sonstigem höfischem Personal ... Forschungsergebnisse der Zoologie zeigen, dass auch Tierkinder spielen. Das bedeutet, dass diesbezügliche Aktivitäten es ihnen erlauben, gewisse Verhaltensmuster in geschütztem Umfeld zu trainieren und daher sehr wichtig für deren Entwicklung sind. Zwar dient bei den Menschen vieles, was unter dem Oberbegriff 'Spiel' angeboten wird, hauptsächlich dazu, sich für kurze Zeit möglichst unterhaltsam vom Ernst des Lebens zu distanzieren. Häufig mogeln sich jedoch ebenfalls Lerninhalte darunter, wie ganz offensichtlich beim Thema 'Quiz', wo man sich sozusagen unabsichtlich Wissen aneignet. Bei manchen Arten von Computerspielen werden noch dazu nachweislich motorische Fähigkeiten, ebenso wie die Reaktionsgeschwindigkeit geschult. Selbst in eine fiktive Geschichte versponnen, ist man vor den nützlichen Elementen dieser Freizeit- beschäftigung nicht immer gefeit. Denn man muss, um im Spiel weiterzukommen, oft Aufgaben erledigen; zum Beispiel Tonsequenzen wiederholen oder klassische Rätsel lösen wie das Umfüllen von Flüssigkeiten, Memory-Tableaux und ähnliches. Je nachdem wie man es betrachtet, ist es deprimierend, witzig oder tröstlich, dass man die selben auch in sogenannten 'Gehirn-Jogging'-Büchern finden kann! Während nichtsdestotrotz die Beliebtheit von Computerspielen steigt, scheinen andere Freizeitbeschäftigungen an Attraktivität zu verlieren. Partys etwa geraten immer mehr in Verruf, weisen sie neben dem unbestreitbaren Unterhaltungswert, doch beträchtliche Nachteile auf: - ökonomisch: Kosten, die sich nie amortisieren - ökologisch: ideelle Umweltverschmutzung in Form von Lärmbelästigung der Nachbarn - physisch: ausufernder Alkohol- und Zigarettenkonsum - psychisch: unvollkommene Kommunikation ('Smalltalk') - weltanschaulich: Aufkeimen des Zweifels am Sinn des Lebens Daher werden sie seit neuestem in rudimentärer Form zeitlich zwischen Büro und Fernsehabend hineingequetscht und finden als sogenannte 'Afterwork'-Veranstaltungen regen Zuspruch. Es bietet sich - im wahrsten Sinne des Wortes - noch eine Fluchtmöglichkeit aus dem Alltag an: das Reisen. Doch diese Art der Freizeitgestaltung ist sehr kostspielig und erfordert eine Sonderration von arbeitsfreier Zeit; außerdem nimmt diese Tätigkeit in den Hitlisten der Stressfaktoren einen hohen Rang ein. Dazu kommen noch unsichere Weltgegenden, was das gehäufte Vorhandensein von Krankheitserreger oder gefährlichen Zeitgenossen betrifft. Ein großes Problem ist natürlich die Assimilierung der dortigen Bedingungen: Wenn eine exotische Destination zu wenig auf ihre Gäste Rücksicht nimmt, fühlt man sich vielleicht verloren. Falls man jedoch zu viele Elemente seines Heimatlandes wiederfindet, wird man sich fragen, warum man für diesen Wiedererkennungswert halbe Erdteile durchquert hat .... Hier ist also - in aller Kürze und Traurigkeit - die Situation eines Menschen unserer heutigen Gesellschaft dargestellt, der sich schlicht vergnügen möchte. Hauptsächlich Anstrengungen, Ausgaben, Anforderungen - alles nur kein Spaß! Anbetracht dieser Tatsache sollte man die vielleicht die Möglichkeit einer 60-Stunden-Arbeitswoche überschlafen .. SCHLAFEN! Das ist die Lösung - kostengünstig, vom Klerus toleriert ('Wer schläft, sündigt nicht') und problemlos mit Medienkonsum oder den weiter oben angeführten gesellschaftlichen Verpflichtungen zu kombinieren. Ganz zu schweigen von einem weiteren Vorteil: man kann von einer gelungenen Freizeitgestaltung träumen! |