Literarischer Adventkalender von Susanna Haunold
.. mit beschr a nkter Haftung
In früheren Zeiten haben manche historische Persönlichkeiten - entweder um ihre Macht zu vergrößern oder weil ihnen schlicht langweilig war - die Grenzen ihres Reiches ausgedehnt. In der Gegenwart sind Großreiche - zumindest in manchen Teilen der Welt - beinahe unmodern geworden; deshalb gewinnen einzelne Länder und deren Bewohner wieder an Bedeutung. Wie definiert man eigentlich 'ein Land'? Im allgemeinen handelt es sich dabei um ein Areal, das im günstigsten Fall durch Gebirge und Flüsse vom sogenannten 'Ausland' getrennt ist. Was tun, wenn die Geographie sowie diverse Eroberer versagt haben und sich an den passenden Stellen keine natürlichen Barrieren befinden? Man ruft die Politik und Landvermesser zu Hilfe, zeichnet in Landkarten künstliche Linien ein, bringt Schranken an, stellt uniformierte Zöllner hin und komplizierte Regeln auf, wer unter welchen Bedingungen passieren darf. Ein Grenzbeamter verfügt wahrscheinlich über einen der denkbar langweiligsten Berufe, denn die Hitliste des Schmuggelgutes bleibt weitgehend unverändert: Drogen, Alkohol, Pretiosen, exotische Tiere und - wenn es hochkommt - Menschen und Plutonium. Die Chefs dieser Zöllner haben schon bei der Kreation dieses Berufsbildes klar erkannt, dass ihre Untergebenen buchstäblich an ihre Grenzen gelangen werden und daher einer besonderen Motivation bedürfen. Sie beschlossen daher ihnen ein besonderes Privileg zuzugestehen, nämlich zwecks Amüsement die Fotos der Durchreisenden betrachten zu dürfen. Mit Hilfe einer peniblen Untersuchung des Gepäcks und des Fahrzeugs versuchten sie dann zu verifizieren, ob das furchteinflößende Passbild der Wahrheit entsprach und sie es tatsächlich mit einem kriminellen Subjekt zu tun hätten, oder ob bloß der betreffende Fotograf als 'Verbrecher' zu bezeichnen wäre ... Doch man beschloss auch die Touristen und sonstigen Reisenden am Unterhaltungswert von Grenzen teilhaben zu lassen; daher setzte man für die Ein- und Ausfuhr von Produkten gewisse Richtlinien fest. So war es einem Normalbürger des 20. Jahrhunderts gestattet, sich ohne größeren Aufwand plötzlich in einen Quartalbanditen zu verwandeln. Er überschritt die erlaubten Mengen um ein Vielfaches, wahrscheinlich nur um die prickelnde Spannung zu erleben: Ob man im Falle einer Stichprobenkontrolle die abgebrühten Zöllner zu täuschen vermag? In erster Linie mit dem Anschein des Fehlens jeglicher krimineller Energie, aber - sollte das misslingen - vorsichtshalber zusätzlich mit gefinkelten Verstecken. Daher sind diverse Zollformalitäts- lockerungen vielleicht für die Weltwirtschaft von enormer Wichtigkeit, für den einzelnen schmuggelfreudigen Reisenden bedeuten sie hingegen Langeweile pur. Der quasi gesellschaftspolitische Wert dieser restriktiven Maßnahme wurde auch abseits des Welthandels sehr fraglich. Denn obwohl die Nationen durch reale Grenzen fein säuberlich getrennt bleiben sollten, bildeten sich sozusagen als aufmüpfiger Akt der Zivilcourage immer wieder bilaterale Partnerschaften. Die Deutschen Bürger haben sich zum Beispiel verpflichtet die 'Frankfurter' als 'Wiener Würstchen' zu essen, dafür wurden in Salzburg alle Preise auch in DM angeschrieben und sie bekamen für hundert Jahre die Option den Burgtheaterdirektor zu stellen. Ungeachtet dieser Tatsache wäre es interessant darüber zu reflektieren, warum sie öfters an Stellen angebracht wurden, wo sprachlich und kulturell eine gewisse Übereinstimmung der Menschen vor und hinter den Grenzbalken herrschte. Der Grund ist ebenso naheliegend wie nicht sofort erkennbar: man wollte erreichen, dass sich Touristen aus Nachbarländern zuerst heimisch fühlten und dann langsam innerhalb des Auslandes selbst stufenweise mit erschreckend exotischen Kulturkreisen konfrontiert wurden. . Doch auch was weiter entfernte Länder betrifft, läuft die stufenlose Angliederung an das fremde Volk mitunter lange vor dem Passieren einer Zollgrenze ab - nämlich im eigenen Land. Das bedeutet, dass Österreicher etwa durch den Anblick von südländischen Restaurants mit der fremden Kultur vertraut werden, dafür reisen sie verlässlich in Scharen zu den deren Ferienanlagen, damit die dortigen Anwohner im Gegenzug ihre kulturellen Eigenarten kennenlernen können. Sämtliche Putzkolonnen sind vielleicht aus dem selben Grund von ausländischen Kräften unterwandert; auch hierbei hat in Friedenszeiten eine österreichische Urlaubskontinuität den angestrebten symbiotischen Effekt. Manchmal schafft es ein beliebter Star quasi als Testimonial für seine Heimat zu fungieren, sodass mitunter Millionen Menschen aufbrechen, um sich dort einmal umzusehen. Falls es das betreffende Land verabsäumt hat, einen passenden Vertreter zu entsenden, gibt es eine andere Strategie: man gestaltet ganze Stadtviertel zu einem Thema, also etwa 'XY-Town'. Dann können sich die hiesigen Einheimischen wie in einem Musterhaus umsehen und müssen nicht um den halben Erdball reisen, um einen intimen Einblick in die fremde Kultur zu erhalten; wenn sie sich doch dazu entschließen sollten, sind sie bestens vorbereitet und damit im Stande kritisch einzugreifen, falls sie Abweichungen feststellen sollten ... Warum gibt es eigentlich in Österreich so viele chinesische Restaurants? Diese Frage ist mindestens so schwer zu beantworten, wie jene, warum man künstliche Grenzen hartnäckig beibehält, wenn doch zum Beispiel in Europa viele Länder in freundschaftlicher Verbundenheit miteinander arbeiten und leben. Man glaubte wenigstens dafür eine Antwort gefunden zu haben: 'Weg damit!' Flugs wurden diese artifiziellen politischen Barrieren entfernt und man hat alles, was die Trennung optisch repräsentierte, kurzerhand eliminiert. Aber nicht nur Zäune, ganze Mauern und Zollbeamte verschwanden, sondern damit auch die Begleitmaßnahmen, wie etwa Passkontrollen. Das klang erstmals sehr vernünftig und vor allem erfreulich, schließlich gilt 'die grenzenlose Freiheit' als der Gipfel der positiven Erfahrung und wird eifrigst angestrebt. So wird 'beschränkt' in Bezug auf eine geistige Tätigkeit - oder eigentlich deren Mangel - gar als Schimpfwort verwendet. Wirklich ärgerlich ist in diesem Zusammenhang wieder einmal die Realität; sie sorgt gnadenlos dafür, dass meistens zwei Freiheiten irgendwo zusammenprallen. In dem durchaus lobenswerten Bestreben alles zu vereinen, hat man nicht bedacht, dass Grenzen auch Vorteile haben: sie erlauben auch im übertragenen Sinn eine genau Definition, wo etwas anfängt und wo endet, was natürlich eine gewisse Orientierungshilfe bietet. Man hat dann immer noch die Option, diese einfach zu ignorieren oder zumindest 'bis an seine Grenzen' zu gehen. Wenn man Vorschriften gelockert hat, wird es extrem schwierig, diese wieder zu verschärfen. Dementsprechend wächst die Problematik, wenn man sie ganz eliminiert hat. Aber: solange nicht grenzenlose Dummheit das Projekt dominiert, wird man hoffentlich bald in der Lage sein, die negativen Folgen wenigstens irgendwie einschränken zu können! |